Der Wimmlet Blog 2021
Artikel - Der Wimmlet Blog 2021
Freitag, 01. Oktober 2021
Es ist so weit! Heute ist der erste Wimmlet-Tag. Die Scheren sind kontrolliert und geschmiert. Die Gerätschaften im Keller sind geputzt und bereit für den Tag. Die Wimmler sind da und freuen sich auf die Arbeit an der frischen Luft und das Zusammensein. Die meisten kennen sich von früheren Jahren und sind Teil einer grossen Familie geworden. Während in einem nahen Rebberg die Erntemaschine ihren Dienst antritt, nehmen unsere Wimmler gutgelaunt Kessel und Schere in die Hand. Sie werden dieses Jahr gefordert sein. Die Entscheidung über den Beginn der Lese ist den Winzern nicht einfach gefallen. In den letzten Tagen sind sie immer wieder durch die Reihen gegangen, haben Entwicklungsstand, Reifegrad sowie den Gesundheitszustand der Trauben begutachtet und dazu den langfristigen Wetterbericht studiert. Aufgrund aller Vorzeichen haben sie kurzfristig entschieden, eine Vorlese der Riesling Silvaner durchzuführen. Jetzt sollen die vollreifen Trauben herausgelesen werden, damit sie nicht der Fäulnis zum Opfer fallen. Zugleich werden faulige Trauben oder Beeren entfernt. Die Trauben, die noch etwas Sonne vertragen können, bleiben für einen nächsten Erntedurchgang hängen. Eine Vorlese und eine Hauptlese zu machen ist zwar zeitintensiv und beschert Mehrarbeit im Keller. Aber letztlich resultiert daraus eine höhere Traubenqualität. In diesem Blog berichte ich, Frau eines Winzers und beruflich eingebunden in das Familien-Weingut, in den nächsten Wochen über den Wimmlet und alles, was dazu gehört.
Dienstag, 05. Oktober 2021
Was machen wir an einem Oktober-Tag wie heute, wenn von morgens bis abends Regen angesagt ist? Wir studieren den Wetterbericht. Oder besser gesagt die unzähligen Wetter-Apps dieser Welt. Da gibt es den Branchenleader mit den supergenauen Lokalprognosen, das landwirtschaftliche mit Warnungen in Form von Kuhgebimmel oder das touristenfreundliche, das immer ein bisschen mehr Sonne verspricht. Und je nachdem, welches Wetter man finden möchte, irgendwo wird man fündig.
Solche Wetter-Apps sind hochansteckend, und das sogenannte Wetter-App-Syndrom überträgt sich rasant auf alle Mitarbeitenden. Im Chat tönt das dann etwa so: „Arbeiten wir heute? Ab 9 Uhr regnet es.“ „Ja, aber nur 1 mm und zu 20%. Wir versuchen es.“. „Ich komme etwas später. Habe nicht mit einem Einsatz gerechnet. Mein App zeigt Dauerregen.“
Das Wetter ist in der Landwirtschaft immer ein Thema. Doch dieses Jahr wird allen in besonderer Erinnerung bleiben. Das regnerische Wetter hat das Können der Winzer in Sachen Pflanzenschutz ganz schön gefordert. Gemäss den Aufzeichnungen der Fachstelle Obst- & Weinbau Plantahof waren in der zweiten Hälfte Juni, im Juli wie auch im August rekordhohe Niederschlagsmengen zu verzeichnen. Und dies zum Teil in Form von Dauerregen, der nur kurze Zeitfenster für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln oder die Handarbeit in den Reben liess. Doch wir sind trotz allem dankbar und jammern nicht. Die Ernte wird wohl aufwändig sein und länger dauern, denn die Trauben haben unter den Wetterbedingungen gelitten. Aber wir werden - im Gegensatz zu den Weinregionen, die von Frost und Hagel betroffen waren - ernten (oder haben es schon getan).
Was machen wir also an einem Oktober-Tag, wenn es tatsächlich von morgens bis abends regnet? Wir haben Zeit für das übrige Tagesgeschäft, das auch während der Lesezeit anfällt. Weinbestellungen zur Post bringen, mit dem Lernenden den Bildungsbericht besprechen, das Kellerinventar machen oder Mailanfragen für Kellerbesichtigungen während der Weinlese beantworten. Oder einen Schwatz mit dem Winzerkollegen halten. Natürlich über das Wetter.
In diesem Blog berichte ich, Frau eines Winzers und beruflich eingebunden in das Familien-Weingut, in den nächsten Wochen über den Wimmlet auf unserem Weingut und alles, was dazu gehört.
8. Oktober 2021
Gestern war Wimmlergemeinde. Der Weinbauverein beruft diese Versammlung der Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen von Reben jeweils vor der Hauptlese ein und nutzt das Zusammenkommen für allerlei Informationen. Früher wurde an der Versammlung der „Allgemeine“, also der allgemeine Lesebeginn, bestimmt. Wer früher erntete, musste eine gute Begründung für eine Bewilligung liefern oder riskierte eine Busse. Heute verschafft sich der Vorstand des Weinbauvereins im Voraus bei einer Begehung einen Überblick über den Stand der Reben und Trauben und gibt seine Einschätzungen und seine allgemeine Empfehlung für den Wimmlet ab. Dann wird noch einmal in Erinnerung gerufen, die Vogelschutznetze korrekt zu montieren und zu kontrollieren, und dass sie nach der Ernte sofort entfernt werden müssen. Weitere Themen sind die Schiessapparate in den Rebbergen oder die gemeinschaftlich organisierte Traubenwache. (Eigentlich gegen gefiederte Traubenpicker gedacht, aber auch gut als Schutz gegen die zweibeinigen.) Und dieses Jahr wurde natürlich über die Empfehlungen für eine coronasichere Ernte informiert. Vom Angebot, die Refraktometer für die Bestimmung der Oechslegrade zu eichen, wurde reichlich Gebrauch gemacht.
Zur Wimmlergemeinde erklingt jeweils um 20 Uhr die kleinste Glocke des Malanser Kirchturms. So war es schon immer. Auch schon immer war es so, dass von meiner Familie nur die Männer an die Wimmlergemeinde gingen. Frau muss und kann nicht immer alles, so meine Devise.
Haben Sie sich über die Doppelpunkte weiter oben bei den „Eigentümer:innen und Bewirtschafter:innen“ gewundert? Das sind meine Extrapunkte für die Frauen, die nicht nur das ganze Jahr in den Reben oder im Keller stehen und über alles Bescheid wissen, sondern es - anders als ich - sogar bis an die Wimmlergemeinde geschafft haben.
14. Oktober 2021
Heute ernten wir erstmals Blauburgunder oder eben Pinot Noir. Das ist ja das Gleiche, denn Pinot Noir und Blauburgunder sind zwei Bezeichnungen für die gleiche Rebsorte. Traditionalisten dürfen also dem Begriff Blauburgunder treu bleiben, und die Modebewussten ruhig von Pinot Noir sprechen.
Wenn ich schon von Modebewusstsein schreibe, dann ist die Überleitung kurz zu einem anderen Thema. Die Morgentemperatur lag heute nur knapp über der Nullgradgrenze. An solchen Tagen zieht man sich zum Wimmeln am besten alles über, was der Kleiderschrank an warmen, pflegeleichten und dauerhaften Sachen hergibt. So entstand vor Jahren der Insider-Begriff „Wingert Style“, ein bunter Anti-Stil aus wertigen Kleidungsstücken mit langen Nutzungszyklen. (Wow, diese Beschreibung könnte in Wikipedia stehen.) Ein gutes Beispiel für den Wingert Style ist der klassische Faserpelz aus den 1980ern, das altgediente karierte Holzfällerhemd, eine Jeans mit Flicken und Flecken, Wollsocken und Wanderschuhe. Und was meinen die Helfer im bunten Faserpelz und in den ausgeleierten Jeans zum heutigen Erntetag? - Wir sind nicht vorwärtsgekommen. Du musst jede Traube umdrehen und genau anschauen. Es gab angestochene, angepickte und angesteckte Beeren, die man akribisch aussöndern musste.
Und was meinen die Winzer zum heutigen Erntetag? - Das war ein ordentliches Stück Arbeit, und die Leseleistung war dementsprechend klein. Aber das wussten wir im Voraus. Im Keller steigt die Spannung, bis du die erste Oechsleprobe aus der Stande ziehen kannst. Die Qualität ist ansprechend. Dieses Jahr ist es eine Herausforderung, den richtigen Erntezeitpunkt zu finden. Du brauchst Nerven und musst Kompromisse eingehen. Früh wimmeln mit weniger Reife? Oder zuwarten und noch etwas riskieren? Auf alle Fälle ist Fingerspitzengefühl bei der Kelterung gefragt. Schonendes und vorsichtiges Extrahieren, keine langen Maischestandzeiten, keine unnötigen Strapazen.
17. Oktober 2021
Es ist Sonntag, Ruhetag für die Wimmler. Es gibt übrigens nur zwei Gründe, an einem Sonntag zu wimmeln: wenn für den Montag Schnee angesagt ist oder das Wimmeln verboten wird. Da letzteres nicht der Fall ist, bleibt mir rätselhaft, welcher Wetterapp diese Wimmler in unserer Nachbarschaft vertrauen.
Die Hauptarbeit findet heute drinnen statt, im Torkel. Dieser Raum ist zurzeit vollgestellt mit allerlei Geräten, die oftmals nur während einer kurzen Zeit des Jahres im Einsatz sind - Waage, Abladewanne und Abbeermaschine, die Presse und viele kleine und grosse Tanks, Standen und andere Behälter.
Der Riesling Silvaner-Most der Vorlese ist nach zwei Wochen fast fertig vergoren. Man kann also schon von einem Jungwein sprechen, mit einer diesjährigen sehr fruchtigen Aromatik. Der Most der zweiten Lese blubbert ohne Pause. Er hat das Stadium des Sausers bereits überschritten. Ausser der täglichen Sicht-, Oechsle- und Temperaturkontrolle bereiten diese beiden Tanks momentan keine grosse Arbeit.
Die Pinot Noir-Trauben des Vortages sind gleich nach der Lese entstielt und gequetscht worden und befinden sich in grossen, offenen Standen. Die Maische, also das Gemisch aus Saft, Beerenhäuten und Kernen, wird täglich von Hand gestösselt. Dadurch mischen sich die Beerenhäute, die obenauf schwimmen, immer wieder mit dem Saft und geben ihm die pinot-typische kräftige rubinrote Farbe. Die Pinot Noir und Mara-Trauben vom Freitag werden am heutigen Sonntag „geimpft“. Durch die Zugabe einer Reinzuchthefe wird eine kontrollierte Gärung in Gang gebracht. Ein Tank mit Pinot Noir-Maische ist heruntergekühlt und wird mehrere Tage bei etwa 8 bis 10°C kaltgestellt. Durch diese Kaltmazeration werden fruchtige Aromen auf sanfte Weise extrahiert. Für einen Laien gleicht der Torkel, in dem es übrigens herrlich duftet, einem Durcheinander von Tanks, Fässern und Schläuchen. Aber auch der Winzer ist gefordert. Damit er die Übersicht behält, hängt an jedem Gebinde ein Datenblatt, auf dem die Kellergeheimnisse (?!) tagtäglich nachgetragen werden.
Immer wieder wird die Arbeit unterbrochen für einen Blick nach draussen. Bereits mit den ersten Sonnenstrahlen sind die Starenschwärme aufgetaucht. Diese Zugvögel sammeln sich für ihre Reise in den Süden und würden vor ihrem Alpenüberflug noch gerne etwas Traubenzucker tanken. Das koordinierte Flugspektakel ist eindrücklich, jedoch nicht in den Augen der Wingertbesitzer, die sich mit optischen und akustischen Signalen gegen das Einfliegen der Schwärme in die Reben wehren. Entschuldigung, liebe Spaziergänger und Hundehalter. Es wird noch einige Tage geknallt und geheult bei uns. Dann gehört der meditative, herbstliche Zauber der Wingerten wieder ungestört Ihnen.
22. Oktober 2021
„Barriga vazia não tem alegria“ sagte die Portugiesin meiner Kindheit, wenn ich an ihrem Tisch sass. Ein leerer Bauch kennt keine Freude. Und sie tischte immer etwas auf, was mich glücklich machte. Der diesjährige Wimmlet zieht sich in die Länge, und darum ist es eine Herzenssache, dass unsere Wimmler immer mit Freude - also nicht mit leerem Bauch - bei der Arbeit sind.
Unser Weingut liegt mitten in den Reben, und wir können zum Essen ohne grossen Aufwand in den Degustationsraum kommen. Mittags wird deshalb - nein, kein portugiesisches Essen - eine Suppe und ein währschaftes Menu aufgetischt, das sich leicht für viele Leute kochen lässt. Es ist ein echtes Vergnügen, unsere Helfer zu bekochen. Selten bekomme ich so viele Komplimente für ein Essen, das überhaupt nicht spektakulär daherkommt. Doch die Arbeit draussen macht hungrig, und die Aussicht auf einen vollen Teller ohne Kochen zu müssen dankbar. Bevor es nach einer Stunde Pause wieder in den Wingert geht, dürfen sich alle an der Kaffeebar bedienen. So geht es wacher in den Nachmittag. Am Ende des Tages vereint man sich erneut zum Zvieri mit Alpkäse, Birnbrot und Kuchen. Das Zusammensein ist ein wichtiger Teil der Wimmlet; für viele ist das Miteinander gar noch wichtiger als das Lohncouvert am Ende der Lese.
28. Oktober 2021
Die letzten Trauben sind geerntet! Wir feiern dies mit einemlauten Jauchzer und einem ausgedehnten Zvieri.
Die Ernte hat sich über vier Wochen hingezogen, und der Keller ist zu einem Schauplatz für Wein-Wundernasen geworden. Nirgends sonst erlebt man den Werdegang des Weins besser als hier und jetzt. Und wie das duftet! Nach süssen Holunderblüten, saftigen Pfirsichen, schwarzen Kirschen und sonnengereifte Pflaumen.
Der Saft der Merlot-Lese von gestern ist noch süss und klebrig. Obwohl erst kurz zuvor geerntet, lässt sich die kräftige Farbe deszukünftigen Weins erahnen. Daneben knistert es munter in einem Gefäss mit Pinot Noir. Die Alkoholische Gärung ist im Gang, und der Saft kitzelt auf der Zunge. Das ist er also, der Sauser. Je nach fortschreitender Gärung nennen wir ihn Kindersauser (für die Jungen oder Süssen), Wiibersauer (mit etwa 1% Alkohol) oder Männersauser (für die Hartgesottenen). Um an den Sauser zu kommen, gilt: Man stecke einen dünnen Schlauch oder einen langen Strohhalm durch den Tresterhut bis man zum Saft gelangt und sauge daran. Da werden auch die Hartgesottenen zu kleinen Kindern!
Der Traubenmost gärt, bis der grösste Teil des Zuckers in Alkohol umgesetzt ist. Dann ist der Sauserspass vorbei, und aus dem einstsüssen Saft ist Jungwein geworden. Jungweine sind vergleichbar mit Teenagern, die keine süssen Kinder mehr sind, sondern auf dem Weg zum Erwachsensein ihren Charakter entwickeln. Alle Pinot Noirs befinden sich in diesem Stadium. Der Wein ist noch nicht von der Hefe getrennt und hat eine typisch trübe Färbung. Sein Geschmack ist fruchtig und lebendig, aber noch wenig intensiv. Viele Aromastoffe werden erst in der kommenden Reifung entstehen. In den nächsten Tagen werden die Pinot Noirs nach und nach abgepresst. Je nach Bestimmung werden sie im Stahltank oder im Barriquefass den weiteren Reifeprozess durchleben.
Der Chardonnay wurde gleich nach der Ernte und dem Abpressen in Barriques verteilt und darf einige Wochen im Holz gären. Durch dem frühen Kontakt mit Holz erreicht er eine komplexere Reife und Langlebigkeit. Wer einmal an einem Barriquefass mit frischem Chardonnay geschnuppert hat, wird den Duft von zarten Vanilletönen nicht vergessen.
Am weitesten ist der Riesling Silvaner, der am 1. Oktobergelesen wurde. Seine Gärung ist beendet, das heisst sein Zucker ist komplett in Alkohol umgewandelt worden. Die Hefe hat ihren Dienst getan und wurde vor einer Woche abgezogen. Der Wein ruht nun in einem Tank im kühlen Keller - unten trüb, oben klar.
Der Wimmlet ist vorbei und im Wingert kehrt Ruhe ein, während die Arbeit im Keller weitergeht. Hier endet der Wimmlet-Blog. Es hätte noch so vieles zu berichten gegeben. Über schmerzende Rücken und eine gebrochene Rippe. Über was im Wingert diskutiert wird und - Ehrensache - auch dort bleibt. Über neue Freundschaften und Abschied nehmen. Bis zum nächsten Jahr.
In diesem Blog berichte ich, Frau eines Winzers und beruflich eingebunden in das Familien-Weingut, in den nächsten Wochen über den Wimmlet auf unserem Weingut und alles, was dazu gehört.
Autorin: Kornelia Liesch