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Der Weinbau im Bündner Rheintal ist erstmals im Testament des Bischofs Tello von Chur (765 n. Chr.) urkundlich erwähnt. Man geht davon aus, dass zunächst auch bei uns vorwiegend Weisswein (Elbling, Weisser Veltliner, Completer) angebaut wurde. Eine Wende gab es um 1630, als im Zusammenhang mit militärischen Machtansprüchen Frankreichs während der "Bündner Wirren" die Blauburgunderrebe ihren Weg zu uns fand und offenbar innert kurzer Zeit zur Hauptsorte wurde.

Weitere Schlüsselereignisse für den Schweizer und damit auch den Bündner Weinbau waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Einschleppung des Echten Mehltaus, der Reblaus und schliesslich des Falschen Mehltaus. Diese Schadorganismen lösten zusammen mit der Eröffnung der GotthardEisenbahn, einigen Fehljahren und dem damit zusammenhängenden Einbruch des Markts für einheimischen Wein in der Schweiz die so genannte Rebbaukrise (ca. 1882 bis 1930) aus. In der Folge reduzierte sich die Schweizer Rebfläche von fast 35'000 ha auf etwa 12'500 ha. Weniger die Reblaus, die es nie in bedrohlichem Ausmass bis nach Graubünden schaffte, als vielmehr ein harter Winterfrost 1956 sowie eine DickmaulrüsslerEpidemie liessen die Bündner Rebfläche auf 157 ha schrumpfen.

Der Wiederaufschwung hing eng mit der Umstellung auf veredelte Blauburgunderreben, auf die weniger arbeitsintensive Drahtrahmenerziehung und die ressourcenschonende Integrierte Produktion (IP) zusammen. Dank Meliorationen und Neueinzonungen ist die Rebfläche im Bündner Rheintal seither auf früher nie erreichte 420 ha angewachsen. Gleichzeitig haben die 1993 eingeführte Erntebegrenzung, der hohe Ausbildungsstand der Weinleute, die wegen dem Föhn meist mildtrockenen Herbste und sicher auch die Klimaveränderung zu einer Qualitätsstufe beim Wein geführt, die heute beim Pinot noir sogar international als Gradmesser dient.

Begann alles mit den Römern?

Ob es in Graubünden bereits zur Römerzeit Weinbau gab, ist ungewiss. Bodenfunde oder schriftliche Belege fehlen. Die bis Mitte des 17. Jahrhunderts bei uns starke Verbreitung der als "Römerrebe" bekannten Weissweinsorte Elbling (Vitis albuelis) ist aber ein Hinweis darauf, dass ab etwa dem Jahr 300 n. Chr. in "Churrätien" Weinbau betrieben wurde.

Erstmals urkundlich erwähnt wird der Bündner Rebbau im berühmten Testament des Bischofs Tello von Chur (765 n. Chr.), in dem er dem Kloster Disentis einen Gutshof in Sagogn (Nähe Ilanz, 700 m ü.M.) samt Wiesen, äckern, Obst- und Gemüsegärten sowie Weinbergen vermachte.

Nach dem Jahr 800 setzen weitere schriftliche Zeugnisse zum Weinbau in Nordbünden ein, beginnend 802 mit einem Sonntagsarbeitsverbot in den Reben der Herrschaft, Rebrodeln, Handänderungsdokumenten und Zehntenlisten, bei denen Wein als Abgaben aufgelistet waren. Diese Entwicklung setzte sich rheinabwärts fort zunächst ins St.Galler Oberland, dann bis in den Bodenseeraum und weiter nordwestwärts. Graubünden kann also als "Quellgebiet" des Deutschschweizer Weinbaus gelten.

Um das Jahr 1000 waren fast alle heute bekannten Rebbaugebiete der Schweiz mit Reben bestockt. Der Weinbau dehnte sich im Mittelalter wohl auch wegen einer zwischen etwa 1280 und 1380 sehr warmen Klimaperiode stark aus und erreichte im Vorderrheintal und im Unterengadin (Ramosch) Höhen bis 1200 m ü.M.

Vom Weisswein zum Blauburgunder

Im Gegensatz zum Grossteil der übrigen Schweiz bekam vor allem Nordbünden die Auswirkungen des Dreissigjährigen Kriegs (1618-1648) im Rahmen der "Bündner Wirren" in voller Härte spüren. Hier prallten die Territorialansprüche Frankreichs und österreich/Spaniens aufeinander. Der Machtkampf führte später (1797) zum oft beklagten Verlust des Untertanenlands Veltlin, andererseits soll Herzog Henri II. de Rohan zwischen 1630 und 1635 die Burgunderrebe (Blauburgunder, Pinot noir, Spätburgunder) hier eingeführt haben.

Ob der "gute Herzog" (wie die Einheimischen der überlieferung gemäss den französischen Hugenottenführer genannt haben sollen) die Rebstecklinge selbst mitbrachte, bleibe dahingestellt. Zu jener Zeit befanden sich aber viele Söhne einheimischer Bauern- und Adelsfamilien als Söldner bzw. Offiziere in französischen Diensten. Der eine oder andere hat dabei sicher die Burgundertrauben oder -weine kennen gelernt und vielleicht ein paar Stecklinge mit nach Hause genommen. Da die Umstellung des ganzen Rebgebiets auf die Burgunderrebe sich in einigen wenigen Jahren vollzogen haben soll, ist davon auszugehen, dass einflussreiche Kreise sich hinter diesen "Sortenversuch" stellten.

Die Rebbaukrise

Den Beginn der weinbaulichen "Neuzeit" in Europa und in der Schweiz markieren drei Schlüsselereignisse: (1.) Das erste Auftreten des Echten Mehltaus um 1850, (2.) dasjenige der Reblaus um 1868 und (3.) schliesslich 1878 die Einschleppung des Falschen Mehltaus. Zusammen mit der kurz darauf folgenden Eröffnung der Eisenbahn-Alpentransversalen und einer generell eher kalten Klimaperiode zwischen 1882 und 1892 lösten sie die so genannte Rebbaukrise aus.

Im Zeitraum zwischen 1884 und 1932 nahm die schweizerische Rebfläche von maximal 34'380 ha auf den Tiefststand von 12'457 ha ab! Besonders betroffen davon waren der Kanton Tessin (8000 ha -> 1000 ha) und die Deutschschweiz, welche ihre flächenmässige Führungsposition verlor und von rund 14'000 ha (40%) auf weniger als 2000 ha (heute 2610 ha = 17% der Gesamtfläche von knapp 15'000 ha) zurückfiel.

Schadensbegrenzung im Bündnerland

Weniger markant war der Rückgang in Nordbünden: ausgehend von rund 250 ha reduzierte sich die Rebfläche im erwähnten Zeitraum um etwa einen Viertel auf 181 ha - der Tiefststand wurde erst infolge eines harten Winterfrosts im Februar 1956 und einer Dickmaulrüsslerepidemie im darauf folgenden Jahr mit 157 ha erreicht. Bis 1956 wurden nur wurzelechte (also nicht auf reblaustolerante Unterlagen veredelte) Blauburgunderreben angebaut. Für den verhältnismässig geringen Schwund der Rebfläche mag mitverantwortlich sein, dass die Reblaus dank strikter Einfuhrbestimmungen damals den Weg zu uns nicht fand.

Einzig die Stadt Chur hatte einen dramatischen Aderlass zu beklagen, indem ihre Rebfläche von einst 99 ha (und damit der grössten Nordbündens) auf heute 9 ha schwand. Die Gründe waren aber eher der Baulandbedarf als rebbauliche Probleme.

Der Aufschwung

Die Rebfläche im Bündner Rheintal erholte sich bis 1970 auf etwa 200 ha, erreichte 1985 knapp 300 ha und überschritt im Jahr 2000 die 400-ha-Marke. 2009 waren es gemäss Rebbaustatistik 421 ha, davon 78% Pinot noir. Damit verfügt Nordbünden derzeit über die grösste je ausgewiesene Anbaufläche. Wir sind zum drittgrössten Rebbaukanton der Deutschschweiz geworden. Verantwortlich dafür sind Neuanlagen in Malans (Selvenen), Fläsch (Feld, Halde, Badgut, Gesamtmelioration 1969-1975), Maienfeld (Eichholz), Jenins und Felsberg. Die Neubestockungen nach 1957 haben dazu geführt, dass ausser auf die reblaustoleranten und sonst robusteren Pfropfreben auch auf die effizientere Drahtrahmenerziehung umgestellt wurde. Gleichzeitig nahm man Abschied von den unkrautfreien Böden und versuchte, mittels Begrünung der Rebgassen dem Gedanken der Integrierten Produktion (IP) nachzuleben. Neben dem warmtrockenen Herbstklima, das im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung bei uns heute einen Weinbau auf höchster Qualitätsstufe ermöglicht, hat auch die Ertragslimitierung auf 0.9 kg/m2 beim Blauburgunder und 1.2 kg/m2 beim Riesling-Silvaner eine Verbesserung der Traubenreife bewirkt. Während die Durchschnittsöchslegrade in den 70er Jahren beim Blauburgunder bei 82 oOe lagen, näherten sie sich nach der Jahrtausendwende 100 oOe (99.7 o). Die durchschnittliche Erntemenge ist 22'500 hl.

Riesling-Silvaner alias Müller-Thurgau

Die von Professor Hermann Müller-Thurgau, dem späteren Direktor der Forschungsanstalt Wädenswil, bereits zwischen 1882 und 1890 in Geisenheim gekreuzte Weissweinsorte blickt auf eine recht bewegte Familiengeschichte zurück: seinerzeit als Sprössling aus der Verbindung zwischen Mutter Riesling und Vater Silvaner gehandelt, stellte sich aufgrund gentechnischer Untersuchungen heraus, dass der Silvaner nicht Pollenspender sein konnte, da er ein anderes DNA-Profil aufweist. Aufgrund ausgedehnter Vaterschaftstests steht heute fest, dass die Pollen von der Rebsorte "Madeleine Royal" stammten. Es handelt sich aber beim Riesling-Silvaner bis heute um die einzige Zuchtrebsorte, die es zu weltweiter Verbreitung gebracht hat. Sie ist in Deutschland und in den angelsächsischen Rebbaugebieten als Müller-Thurgau bekannt, während sich in der Schweiz (ausser im Thurgau) die Bezeichnung Riesling-Silvaner erhalten hat. Heute ersetzt man in der Regel das x zwischen den beiden (teilweise eben falschen) Elternangaben durch einen Bindestrich, um jeden Hinweis auf eine verwandtschaftliche Beziehung zu vermeiden. Der Riesling-Silvaner ist in Graubünden mit rund 30 ha und etwas über 7% der Fläche die am häufigsten angebaute Weissweinsorte.

Completer: ein Name wie ein Gebet

Ihre historischen Wurzeln weit im Mittelalter und damit in der "Weissweinära des Bündner Weinbaus" hat die Completerrebe. Ein Completer-Rebberg in Malans wird 1321 in einer Urkunde des Domprobsts Rudolf von Montfort erstmals als Besitz des Domkapitels Chur beansprucht. Der Wein war dazu bestimmt, nach dem letzten Stundengebet des Tages, der "Complet" (daher der Name), an die Chorherren abgegeben zu werden. Ein "Completer Lehen" im Besitz des Klosters Pfäfers wird auch 1455 in Fläsch erwähnt. Diese säurereiche Weissweinsorte scheint also echt einheimischen Charakter aufzuweisen. Die aufgrund äusserlicher Merkmale vorgebrachte Vermutung, dass es sich um die gleiche Sorte wie Lafnätscha im Wallis handeln könnte, hat sich auf Grund von Genanalysen als falsch erwiesen. Der Completer wurde zwischenzeitlich von der Forschungsanstalt Wädenswil ebenfalls klonselektioniert und auf reblaustolerante Unterlagen veredelt. Der Anbau dieser vor allem auch für die Kelterung sehr anspruchsvollen Sorte, beschränkt sich allerdings trotz der guten Ausgangslage auf weniger als 1% der Bündner Rebfläche.

  • Schlegel, Walter: Der Weinbau in der Schweiz. Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden (1973)
  • Publikation "Gesamtmelioration Fläsch", Buchdruckerei AG Schiers (1981)
  • Durnwalder, Eugen: Der Weinbau des Bündner Rheintales 1912-1982, Baer Offset AG, Felsberg (1983)
  • Ruffner, Hans Peter: Weinbau in der Ostschweiz: woher und wohin? Agrarforschung 5(08), 367-372 (1998)
  • Liechti, Adolf und Süsstrunk, Elly: 100 Jahre Bündner Weinbauverein 1904-2004. Jubiläumsbroschüre BWV (2004)